Ghosting ist kein neuartiges Phänomen. Auch im Bewerbungsprozess scheint es mittlerweile bequem und salonfähig geworden zu sein, plötzlich die Kommunikation abzubrechen. Ghosting wird dabei sowohl von Bewerbern als auch von Unternehmen praktiziert. Schaden tut es jedoch allen. Entscheidend ist, dass trotz digitaler Recruiting-Möglichkeiten mehr Menschlichkeit und Positivität in den Fokus rückt. Vor allem Mikromomente des Well-Beings versprechen hier mehr Commitment – auf beiden Seiten.
Bequem und salonfähig? Ghosting praktizieren beide Seiten
Beim Ghosting stoppen Menschen unangekündigt ihre Kommunikation mit ihrem jeweiligen Gegenüber – sei es im beruflichen oder im privaten Kontext. Dieses soziale Phänomen ist keine Seltenheit; im Zuge der zunehmenden Digitalisierung unserer Kommunikation hat es sogar einen Auftrieb erfahren. Die Pandemie und das damit verbundene Social Distancing taten ihr Übriges. Ghosting wird schwerpunktmäßig von solchen Kontakten praktiziert, die einem nicht persönlich bekannt sind. In der Arbeitswelt sehen sich hiervon auch zahlreiche Unternehmen betroffen. Tatsächlich erfolgt der Kontaktabbruch ebenso oft andersherum, denn einige Firmen melden sich ebenfalls nicht bei (unpassenden) Bewerbern zurück oder machen vielversprechenden Kandidaten sogar Hoffnungen, ohne sie jemals zum Job-Interview einzuladen (→ „Benching“). Es verwundert also kaum, dass laut einer USA-Studie von Indeed insgesamt 77 Prozent befragter Jobsuchender angaben, seit Beginn der Corona-Krise von einem potenziellen Arbeitgeber geghostet worden zu sein. Dabei leiden unter Ghosting im Recruiting grundsätzlich beide Seiten nachhaltig: Arbeitgeber und Bewerber.
Es gibt viele Gründe, warum es bei der Jobsuche immer wieder zu Kontaktabbruch und Unverbindlichkeit kommt. Im Bewerbungsprozess sind es üblicherweise zuallererst die Bewerbermanagement- oder CV-Parsing-Systeme, die an sich vielversprechende Talente aufgrund einseitiger Konfigurierungen aussortieren. Glücklicherweise gibt es jedoch für Jobsuchende einige Tipps zum Austricksen von CV-Parsern. Unternehmen wiederum werden meistens geghostet, wenn das Recruitingverfahren zu lange dauert, zeitnahes Feedback ausbleibt oder einfach schlechte Erfahrungen mit den jeweiligen Personalern gemacht werden. Daher ist es wichtiger denn je, mit potenziellen Kandidaten kontinuierlich im Gespräch zu bleiben – allerdings ohne „Breadcrumping“ zu betreiben. Bleibt hingegen aus Sicht des Jobsuchenden eine Reaktion vom Wunsch-Arbeitgeber grundsätzlich aus, so kann sich die damit verbundene Unsicherheit im schlimmsten Falle schädlich auf die Selbstwahrnehmung desselbigen auswirken. Ein gegenteiliger Effekt tritt zutage, wenn Recruiter den Bewerbungsprozess mit einer Reihe von positiven Impulsen ausgestalten. Genauer gesagt: Es braucht im Recruiting mehr Mikromomente des Well-Beings – eine Forderung, die dabei besonders auf die Bedürfnisse der jungen Generation eingeht.
Wenn Positivität Unverbindlichkeit nicht mehr lukrativ erscheinen lässt
Sowohl im Arbeits- als auch im Privatleben gefällt es kaum jemandem, wenn ein Gegenüber überraschend die Kommunikation abbricht. Einem solchen Verhalten geht für gewöhnlich der Wunsch voraus, ein klärendes Gespräch oder eine Konfrontation zu vermeiden. Einer solchen Auseinandersetzung heimlich aus dem Weg zu gehen, geziemt sich weder für Bewerber noch für Unternehmen. Schließlich wünscht sich doch (fast) jeder Arbeitgeber, Beschäftigte einzustellen, die ein gewisses Maß an Einfühlungsvermögen, emotionaler Intelligenz und wertschätzender Kommunikationsfähigkeit besitzen. Dennoch scheint es leider so, als ob Ghosting im zwischenmenschlichen Miteinander im Laufe der Jahre zunehmend gesellschaftsfähig geworden sei – mit allen Konsequenzen. Nicht selten setzt ein plötzlicher Kontaktabbruch bei den Betroffenen einen Negativitätsbias in Gang – insbesondere bei Jobsuchenden. Deswegen sollten Unternehmen ihren Bewerbungsprozess bzw. ihre Candidate Experience überdenken. Das heißt, sie sollten weniger mit Scorecards arbeiten und sich vielmehr darauf konzentrieren, welche Erfahrungen Bewerber machen. Das Ziel sollte sein, dass Personalsucher bewusster positive Emotionen vermitteln bzw. Bewerber über Mikromomente des Well-Beings ansprechen. So lässt sich die Candidate Experience verbessern:
- Den Ablauf des Bewerbungsverfahrens klar kommunizieren und die Dauer verkürzen.
- Dem Bewerber eine Atmosphäre der Ehrlichkeit und Transparenz, des Respekts und Vertrauens entgegenbringen.
- Einen persönlicheren Zugang zum Jobsuchenden finden – sei es durch sehr individuelle Anschreiben, durch Humor oder durch Komplimente.
- Auf Terminwünsche des Gegenübers eingehen (nach Möglichkeit).
- Den Vorbereitungsaufwand vor Bewerbungsgespräch(en) oder Berufseinstieg durch Insider-Tipps reduzieren.
Es gibt verschiedene Wege, wie Unternehmen auf Ghosting im Bewerbungsprozess reagieren können. Die Lösung ist in allen Fällen: Menschlichkeit und Positivität. Zweifelsfrei ist es darüber hinaus sinnvoll, in Stellenanzeigen die mit dem Job verbundenen Benefits prominent auszuweisen. Doch sollten hierbei intrinsische Anreize – wie zum Beispiel eine fortschrittliche Software-Umgebung für IT-Fachkräfte – höher gewichtet werden als extrinsische Anreize. Damit es Personalern gelingt, sozusagen das Eisen zu schmieden, solange es noch heiß ist, können Bewerbern auch spezielle Trainee-Programme empfohlen werden. So kann ein Traumjob in Aussicht gestellt werden, auch wenn es zunächst noch an entsprechender Berufspraxis mangeln sollte. Schlussendlich trägt eine positivere Candidate Experience dazu bei, nicht nur die Ghosting-Wahrscheinlichkeit von Jobsuchenden zu reduzieren, sondern stärkt auch nachhaltig das Employer Branding einer Firma. Denn positive Recruiting-Erfahrungen führen häufig auch zu sehr guten Rezensionen auf einschlägigen Arbeitgeber-Bewertungsportalen wie etwa Glassdoor oder Kununu. Ein Mikromoment ist zwar nichts weiter als ein einzelner (emotionaler) Eindruck. In der Summe kann er jedoch einen entscheidenden Impact haben.
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