Introvertierte als Führungskräfte: Ein ruhiger Chef oder eine ruhige Chefin ist für viele eine ungewohnte Vorstellung. Doch wieso ist das so? Warum sollten Introvertierte nicht genauso als Führungskraft taugen wie Extrovertierte? Susanne Klatten, Jeff Bezos, Bill Gates, Mark Zuckerberg, Marissa Mayer oder Elon Musk sind prominente Beispiele dafür, dass es in unserer Welt durchaus erfolgreiche introvertierte Führungskräfte gibt.
In Teil 1 dieses Beitrags sind wir darauf eingegangen, dass schüchtern und unauffällig wirkende Persönlichkeiten überaus bemerkenswerte und nützliche Stärken vorzuweisen haben. In diesem Teil zeigen wir, wieso genau diese Eigenschaften sie zu tollen Führungskräften machen.
Je lauter desto besser? Extrovertiert gleich erfolgreich?
Vor allem in der Berufswelt gelten typisch extrovertierte Eigenschaften als bedeutend für den Unternehmenserfolg. Introvertierte gelangen seltener in Vorgesetztenpositionen als Extrovertierte. Aber warum eigentlich? Das liegt weniger an ihren Kompetenzen als vielmehr an ihrer Persönlichkeit und dem gesellschaftlichen System. Energische, dominante Personen, denen es leichtfällt, andere mitzureißen, genießen in unserer Gesellschaft und den meisten Unternehmensstrukturen mehr Aufmerksamkeit. Wir folgen ihnen gerne, denn ihr Verhalten strahlt Sicherheit und Orientierung aus. Wir trauen ihnen zu, dass sie die verantwortungsvolle Aufgabe der Führung mit Bravour meistern. Extrovertierte haben daher größere und schnellere Chancen an die Spitze zu gelangen. Hinzu kommt, dass Vorgesetzte eher Mitarbeiter fördern, die ihnen ähnlich sind. So kommt nach extrovertiert meist wieder extrovertiert. Die besseren und glaubwürdigeren Führungskräfte sind sie deshalb aber noch lange nicht! Sie fallen uns nur auf, weil sie sich durch ihr Verhalten in den Vordergrund drängen. Sich an diesen durchsetzungsstarken Kolleginnen und Kollegen vorbei zu kämpfen, ist für Introvertierte nicht sehr erstrebenswert. Im Mittelpunkt stehen sie ungern. Sich in die eigene Arbeit zu vertiefen, liegt ihnen mehr.

Die Mischung macht’s
Halten wir fest: Extrovertierte sind nicht unbedingt die besseren Vorgesetzten. Das heißt aber auch nicht, dass sie „schlechter“ sind. Wer letztendlich besser geeignet ist, hängt von viel mehr als nur von der Persönlichkeitsausprägung Extra- oder Intraversion ab.
Für Unternehmen ist es wichtig, sich vom traditionellen „Chefbild“ zu verabschieden und die Fähigkeiten beider Extreme zu vereinen. Gleichförmigkeit ist selten gut. Extrovertierte und introvertierte Führungspersonen können sich mit ihren Stärken und Schwächen im Job wunderbar ergänzen. So übernimmt die eine Hälfte durch ihren charismatischen Auftritt die Präsentation des Unternehmens nach außen, die andere ist für das scharfsinnige Nachdenken und besonnene, gut organisierte Handlungen zuständig.
In vielen Unternehmen gibt es für diese Idealkonstellation allerdings noch zu wenige introvertierte Führungskräfte. Es ist also schier unmöglich, die eigene Kompetenz zu beweisen, wenn einem die Möglichkeit dazu vorenthalten wird. Dabei sind es die Unternehmen selbst, die enorm davon profitieren können, nicht nur die lauten, sich in den Mittelpunkt drängenden, sondern auch die unauffälligen, bisher übersehenen Mitarbeiter für Führungspositionen auszuwählen und zu entwickeln. Es liegt in der Verantwortung der Unternehmen und vorhandenen Führungskräfte, die Talente ihrer stillen Mitarbeiter zu erkennen und zu fördern, denn diese können durchaus begabte Führungskräfte sein.
SPECTRUM Tipp: Bei der Entwicklung Introvertierter zu Führungskräften darf das extrovertierte Idealbild keinesfalls als Messlatte dienen. Sich entgegen seiner Natur dauerhaft zu verbiegen, ist zum einen anstrengend und zum anderen überaus unnötig. Trotzdem müssen sie gewillt sein, dazuzulernen und bspw. ihre Konfliktfähigkeit auszubauen, um ihre Mitarbeiter situativ führen zu können.

Introvertierte als Führungskräfte: Die Vorteile der Intraversion in der Chefetage
Eine gute Beobachtungsgabe, geduldiges Zuhören, Zuverlässigkeit, bedachtes, strukturiertes und abwägendes Handeln, Integration von Ideen der Teammitglieder, Förderung von Eigeninitiative und eine reflektierende Art – all das sind Wesensmerkmale Introvertierter, die sie im Gegensatz zu den schnellen, harten und risikofreudigen Bauchentscheidungen ihrer extrovertierten Kollegen zu beliebten und erfolgreichen Chefs machen. Ihr gutes Einfühlungsvermögen fördert offene und transparente Arbeitsumfelder. Introvertierte werden oft um Rat gefragt und stehen zu ihrem Wort. Ihr Wissen und ihr ruhiges Auftreten verleihen ihnen eine natürliche Autorität. Ihr Ego steht ihnen nicht im Weg. Die eigene Zurückhaltung verschafft ihnen ausreichend Zeit, um Entscheidungen durchdacht zu treffen und damit Führungsfehler zu vermeiden.
Besonders erfolgreich leiten Introvertierte solche Teams, die von sich aus viel Eigeninitiative zur Verbesserung mitbringen, denn sie hören ihnen zu, nehmen sich selbst zurück und lassen den Mitarbeitern ausreichend Raum, ihre eigenen Vorschläge und Ideen einzubringen und umzusetzen. Gleichzeitig sind aber sie es, die eine endgültige Entscheidung treffen. Dagegen sollten passive Teams, die gerne Anweisungen befolgen, von Extrovertierten geführt werden.
Die Notwendigkeit des Umdenkens
Egal ob Introvertierte, ihre Kollegen oder Führungskräfte: Wir alle müssen in Zeiten von New Work lernen, die Stärken introvertierter Menschen zu schätzen und ihr Potenzial besser auszunutzen. Wer im modernen Arbeitszeitalter bspw. Eigeninitiative und flexible Strukturen fördern will, benötigt auch die passenden Manager dafür. Das Festhalten an extrovertierten Leadershipkulturen ist nicht mehr zeitgemäß. Wer sich weiterhin von Selbstdarstellern blenden lässt, verhindert das gemeinsame Arbeiten am Unternehmenserfolg. Der perfekte Vorgesetzte muss im Einzelfall auserwählt werden und seinen eigenen Stärken treu bleiben dürfen.
Weitere interessante Beiträge:
Upskilling: Fachkräfte aus den eigenen Reihen entwickeln
Warum gute Mitarbeiter kündigen: 6 Gründe
Intrapreneurship als Innovationstreiber für Unternehmen
Vom Change Management zum Change Leadership
Diversity Management – Was Vielfalt im Unternehmen ausmacht
Bildnachweise für diesen Beitrag: 392097930 © Drazen – stock.adobe.com 251589821 © Prostock-studio – stock.adobe.com </p