Ein rätselhaftes Phänomen, das zunächst im asiatischen und US-amerikanischen Wirtschaftsraum begann, macht sich auch hierzulande langsam bemerkbar: „The Great Resignation“. Es beschreibt ein Rekordhoch an freiwilligen Kündigungen, das einen Umschwung auf dem Arbeitsmarkt zur Folge hatte. Doch warum drängt es immer mehr Menschen zu einer Veränderung in ihrem Berufsleben? Und was können Arbeitgeber dagegen tun? Es zeigt sich: Die Bedürfnisse der Arbeitnehmer gehen mittlerweile weit über flexible Arbeitsmodelle hinaus.
Wiederherstellung von Autonomie und Authentizität im Fokus
Die Pandemie ist ein Game-Changer. In den vergangenen zwei Jahren hat sie den Menschen weltweit viel Lebensenergie gekostet. Selbst jetzt im Jahr 2022, wo sukzessive Corona-Einschränkungen wegfallen sollen, dominiert bei vielen noch ein Gefühl von Unsicherheit und mangelnder Freiheit. Die Krise hat letztendlich viele Beschäftigte dazu veranlasst, ihre Prioritäten im Leben zu überdenken, was zur Folge hatte, dass vor allem auf dem asiatischen und US-amerikanischen Arbeitsmarkt im Jahr 2021 eine Rekordzahl an Kündigungen verzeichnet wurde – laut NZZ in den USA knapp 17 Millionen zwischen Juli und Oktober. Das Phänomen hat einen Namen: „The Big Quit“, „The Great Reshuffle“ oder auch „The Great Resignation”. Letzterer Begriff ist auf den US-amerikanischen Professor Dr. Anthony Klotz zurückzuführen, der schon vor dieser Kündigungswelle feststellte, dass sich Pandemie-bedingt besonders Folgendes verändert habe: „Who we are as an employee and as a worker“. Ein neues Arbeitsverständnis könnte also dafür verantwortlich sein, dass der Personalmarkt weltweit von einer beispiellosen Umschichtung erfasst wurde, der vor allem Frauen, Menschen jungen Alters oder in der Karriere-Mitte, „People of Color“ und Senioren zum Gehen ermutigte. Andere Experten sehen hierin vielmehr ein Nachholen aufgeschobener Kündigungen.

Klotz geht davon aus, dass die Corona-Krise für viele Menschen zu „Offenbarungen“ in ihrer Bewertung von Freizeit, Gesundheit, Heimarbeit, Pendeln und Sinnhaftigkeit ihrer Arbeitstätigkeit geführt habe. So hat angestaute Unzufriedenheit viele Beschäftigte zweifelsfrei zu radikalen beruflichen Veränderungsschritten motiviert – um sich beispielsweise als Entrepreneur neu zu endecken. Andere wiederum haben aufgrund von Überforderung mit digitalen Arbeitsbedingungen, akuter Burnout-Gefahr – wie etwa in der Gesundheits- oder Tech-Branche – oder aus Angst vor Ansteckung den Dienst quittiert. Eine extremere Ausprägung der „Great Resignation“ stellen „Antiwork-Bewegungen“ (→ „Lying Flat“) dar, in denen sich Arbeitende sogar gänzlich weigern, dem „Hamsterrad des Arbeitsmarkts“ zu frönen. Leider ist nicht auszuschließen, dass ein derart pessimistischer Blick auf die Arbeitswelt trotz originellster Mitarbeiterbindungsmaßnahmen auch nach Deutschland überschwappen könnte. Dies hätte schließlich ernste Konsequenzen unter anderem für Deutschlands Innovationsfähigkeit und Wirtschaftskraft. Ein Haupttreiber für diese Entwicklungen sind die Millennials und die Generation Z, die nun im Arbeitsalltag mehr Authentizität und Autonomie einfordern. Das Bereitstellen flexibler Arbeitsmodelle ist somit kein alleiniger Garant für Mitarbeiterbindung mehr.
Mitarbeiter durch mehr Anerkennung, Begeisterung und Purpose binden
Von den Baby-Boomern, über die Generation X bis hin zu den Millennials und zur Generation Z zeigt sich: Je jünger die Mitarbeitenden, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie oder er in absehbarer Zeit den Job wechselt. Für viele von ihnen ist die Kündigung ein Versuch, die insbesondere in den Lockdown-Phasen vermisste Selbstbestimmung zurückzugewinnen – auch wenn sie nach der Kündigung zunächst die Arbeitslosigkeit erwartet. Andere Beschäftigte wiederum fühlen sich schlichtweg erschöpft und sinnentleert, sehnen sich nach mehr Erholung oder wollen sich stärker ihren „Herzensprojekten“ widmen. Doch gleichzeitig registrieren deutsche Fachkräftesucher ein Maximum zu besetzender Stellen, während Ökonomen wohl wissen, wie es um den Einfluss des Fachkräftemangels auf die Inflation vor dem Hintergrund freiwilliger Kündigungen bestellt ist. Unternehmen müssen also Employer Branding noch wichtiger nehmen! Und das heißt nicht nur, dass Arbeitgeber auch nach dem Wegfall vieler Corona-Beschränkungen mit flexiblen Arbeitsplatzkonzepten wie Home-Office-Vereinbarungen punkten müssen, sondern sie sollten auch dafür Sorge tragen, dass das Miteinander der Belegschaft untereinander gepflegt wird. Ferner wollen Arbeitnehmer nun in besonderem Maße begeistert werden und mehr Purpose in ihrem Arbeitsalltag erfahren.

Für Unternehmen ist es von strategischer Bedeutung, sich von anderen Arbeitgebern markant abzuheben. Dies gelingt ihnen nicht etwa nur durch eine bessere Vergütung von Mitarbeitern… Ein wirklicher Differenzierungsfaktor ist laut einem relativ aktuellen White Paper von McKinsey & Company vor allem, wenn in einer Firma – neben flexiblen Arbeitsmodellen, die laut Klotz ohnehin zur Norm werden – Empathie, Offenheit, Vertrauen, Wertschätzung und Zugehörigkeit zelebriert werden. Damit ist ferner auch die regelmäßige Anerkennung von Leistung durch Vorgesetzte gemeint. Sollte eine Unternehmenskultur diesbezüglich Mängel aufweisen, bieten sich spezielle Coachings für Führungskräfte (PDF) an. In diesen könnte unter anderem thematisiert werden, warum Gaußsche Kurven zur Leistungsbeurteilung, Smartphone-Verbote am Arbeitsplatz oder strenge Kleiderordnungen nicht mehr zeitgemäß sind und welche Chancen Job Crafting sowohl für Unternehmen als auch für Angestellte bereithält. Mithilfe dieser Maßnahmen könnte sich die „Great Resignation“ hierzulande vielleicht zu einer zähmbaren Fluktuationswelle abschwächen. Wenn Arbeitgeber jedoch nicht menschlicher werden und sich nicht für Veränderungen im Arbeitsalltag stark machen, werden gerade jüngere Arbeitnehmer zunehmend zu kleineren und mittleren Betrieben mit besserem Arbeitsklima abwandern. Inwiefern das Kurzarbeitergeld uns hierzulande bisher von der „Great Resignation“ verschont hat, kann nur spekuliert werden.
Wir machen aus Talenten Experten!
Bildnachweise für diesen Beitrag:
231187331 © rh2010 – stock.adobe.com
153476393 © WavebreakMediaMicro – stock.adobe.com