Die Macht der Fake News in Zeiten der Infodemie – Welche Medienkompetenzen wir jetzt brauchen

Der Begriff Fake News getippt auf einer Schreibmaschine

In Zeiten der Pandemie umgibt uns tagtäglich eine regelrechte Flut an Falschinformationen. Diese kursieren nicht nur auf Facebook, Twitter oder Whatsapp, sondern dominieren vor allem die klassischen Medienformate. Die Tatsache, dass sich gerade viele ungesicherte Behauptungen über das Virus und seine Folgen in rasender Geschwindigkeit weltweit verbreiten, wird auch als „Infodemie“ bezeichnet, wovor die WHO bereits seit Mitte Februar warnt. Es ist nachvollziehbar, dass die Menschen im Moment ihre Aufmerksamkeit schwerpunktmäßig auf Gesundheitsthemen richten. Die aktuelle Corona-Krise ist für viele Menschen auch eine existenzielle Angelegenheit. Doch das Phänomen der Fake News ist keine Neuheit, wenngleich diese im Rahmen der gegenwärtigen Pandemie selbst von den traditionellen Medien zunehmend aufgegriffen und dramatisiert werden. Problematisch ist dabei ebenso, dass die derzeit medial omnipräsente Krisenkonzentration nicht nur unseren Blick für alternative und neue Perspektiven trübt, sondern uns auch ein großes Stück Lebensqualität nimmt. Was wir jetzt brauchen, sind weniger Effekthascherei und mehr Sachlichkeit sowohl in der Produktion als auch in der Rezeption von Nachrichten.

Jeder bastelt sich seine individuelle Realität

Die weltweite Vernetzung der Gesellschaften im Rahmen von Prozessen der Globalisierung und Modernisierung ist ein großer Gewinn für uns alle. Doch einen Schatten auf diesen Nutzen wirft derzeit die Tatsache, dass zahlreiche Fake News aus aller Welt unseren „Behaglichkeitskosmos der individuellen Existenz“, so Deutschlandfunk Kultur, in kürzester Zeit ins Wanken bringen können. Wie machtvoll die Medien mittlerweile sind, ist gerade weltweit zu beobachten. Daher gehören sie auch zu den ersten Gewinnern der Corona-Krise. Problematisch ist also nicht nur die ungreifbare Masse an Falschinformationen, die tagtäglich in privaten Chat-Verläufen und in den sozialen Netzwerken kursiert, sondern vor allem die derzeitige Berichterstattung der klassischen Medien. Zwar gibt es parallel dazu auch einen rasanten Anstieg Corona-bezogener Domains mit zum Teil betrügerischer Absicht zu beklagen, doch haben das Expertentum, die traditionellen Medien und die Politik mittlerweile eine besonders beunruhigende Dynamik der Panik entwickelt.

Mehrere Kamerateams interviewen einen VirologenJe mehr Nachrichten ungesicherter Qualität es gibt, desto höher sind die Chancen effektiver Desinformation. Denn der Mensch neigt dazu, sich genau auf solche Informationen zu konzentrieren, die möglichst zu seinen Überzeugungen passen. Wir leben in einem häufig als „postfaktisch“ geltendem Zeitalter, so der international anerkannte Risikoforscher Prof. Dr. Ortwin Renn. Postfaktisch bedeutet demnach, dass Menschen nicht mehr zwischen Tatsachen und platten Lügen unterscheiden könnten und sich infolgedessen ihre jeweils eigene Realität basteln. Schuld sei hierbei auch die sogenannte „Verfügbarkeitsheuristik“ – ein Ereignis, das mental sofort verfügbar ist, überschätzen Menschen gerne in der Häufigkeit seines Auftretens. Nicht selten kommt noch ein mangelndes Vertrauen in die Medien, die Politik oder die Wissenschaft hinzu. Länder wie Russland und Ungarn nehmen die weltweite Infodemie beispielsweise zum Anlass, um die Pressefreiheit noch stärker einzuschränken. Es widerspricht jedoch dem Grundverständnis einer Demokratie, die Informationshoheit über das Virus mit solchen Mitteln zu erreichen. Abhilfe kann hier nur ein geförderter Qualitätsjournalismus schaffen, der sachlich und ohne Übertreibungen berichtet.

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Die richtige Medienhygiene gegen emotionale Ansteckung

Die gegenwärtigen Fake News haben viele Ursprünge: Sie werden sowohl von beunruhigten Bürgern als auch von schadenfrohen Menschen und allerlei Wichtigtuern produziert. Unsere traditionellen Medien haben sich mittlerweile auf den Panikmodus eingestimmt. Dadurch produzieren sie eine nicht zu unterschätzende psychologische Zusatzbelastung, während wir in Deutschland derzeit sowieso schon an einer flächendeckenden Überdosis an Ereignis- und Krisenkonzentration leiden, so der Medienwissenschaftler Prof. Dr. Bernhard Pörksen von der Universität Tübingen. Und da die Medien aktuell im vollen Umfang von der Corona-Pandemie berichten, überschätzen die Menschen automatisch die Häufigkeit der Ereignisse, die diesbezüglich thematisiert werden. Eine Studie des Reuters-Instituts für Journalismusforschung an der Universität Oxford überprüfte vor kurzem englischsprachige Corona-Behauptungen aus den letzten drei Monaten auf ihren Wahrheitsgehalt. Sie fanden dabei heraus, dass es sich bei den manipulierten Inhalten hauptsächlich um „billige Fakes“ handle, wovon ein Großteil der Informationen hochgradig verzerrt, umgedeutet oder aus dem Kontext gerissen wurde, so der Medienforscher Felix Simon.

Gefahren verlieren für gewöhnlich ihren Schrecken, wenn man sich an sie gewöhnt. Der Mensch strebt eben fortwährend nach Sicherheiten, die jedoch im Moment nur unzureichend gegeben werden können. Infolgedessen entstehen bei uns zwangsläufig Ängste, die kommuniziert werden wollen – jedoch sollte dabei der Fokus auf dem Positiven liegen. Denn positiv denkende Gesprächspartner sind besonders dazu in der Lage, den Gefühlen der Ohnmacht und des Kontrollverlusts, welche aktuelle Falschnachrichten häufig transportieren, effektiv die Stirn zu bieten. Daher sollte in Zeiten der Krise jeder von uns ein spezielles Sendungsbewusstsein entwickeln, um das Beste aus der gegenwärtigen Situation zu machen. Ebenso sollten wir uns jetzt vor allem in der richtigen Medienhygiene üben, um uns von Fake News nicht unnötig emotional anstecken zu lassen. Dazu gehört auch eine gesunde Portion Skepsis und Zögern – kombiniert mit einer ausgewogenen Mischung aus offener Anteilnahme an den Geschehnissen um uns herum und einer konsequenten Selektion von eingehenden Informationen. So werden wir zu besseren Sendern und laufen weniger Gefahr, den Irrungen der aktuellen Infodemie und unserer medialen Umwelt anheimzufallen

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