Tik Tok für das Fachkräfte-Recruiting – Fame oder Shame in 15 Sekunden

Tik Tok-App wird gerade auf einem Smartphone geoeffnet

Entfremdung oder Reichweite? Das ist die Ausgangsfrage, die Fachkräftesucher sich stellen müssen, wenn sie die Plattform Tik Tok fürs Recruiting nutzen wollen. Die Vorteile liegen auf der Hand: Mit über 99 Millionen aktiven Android-Nutzern – allein im August 2020 in Deutschland – ist die chinesische App das wohl derzeit am schnellsten wachsende soziale Medium. Tik Toks Erfolgsrezept: „Snack-Content“ bzw. Video-Clips, die so aufbereitet werden, dass sie mit der kurzen menschlichen Aufmerksamkeitsspanne harmonieren. Doch ist Tik Tok vielmehr als nur ein Netzwerk zur Zerstreuung; vor allem für viele junge Menschen ist die Plattform ein regelrechter Sehnsuchtsort – ein Medium zur Selbstinszenierung. Potenzielle Arbeitgeber könnten von Tik Tok profitieren. Doch es gibt einige Sicherheitsbedenken.

Der unerwartete Erfolg von Tik Tok einer neuen Art des Storytellings

„In the future, everyone will be world-famous for 15 minutes“, mit dieser Aussage wird häufig der US-amerikanische Künstler Andy Warhol in Verbindung gebracht. Sie impliziert, dass die menschliche Aufmerksamkeit immer flüchtiger werde, weswegen die Medien ständig auf der Suche nach neuen Sensationen seien. Die chinesische Plattform Tik Tok fügt dieser Aussage eine neue Bedeutungsebene hinzu, denn dort kann bereits ein 15-sekündiges Video in kürzester Zeit zum viralen Internet-Hit werden. Tik Tok überzeugt, weil es kinderleicht zu bedienen ist und für inhaltliche Abwechslung – das nächste Video ist nur einen Wisch entfernt – sorgt. Es verwundert nicht, dass das soziale Netzwerk des chinesischen Unternehmens ByteDance ein derzeit wohl beispielloses Wachstum zu verzeichnen hat. Die Popularität von Tik Tok nahm bereits solche Ausmaße an, dass US-Präsident Trump sogar mit einem Verbot drohte. Schließlich ist die Volksrepublik China auch nicht gerade bekannt dafür, mit demokratischen Grundrechten sorgsam umzugehen.

Anti Social Media Symbol wird in die Kamera gehalten

Mittlerweile steht fest, dass Tik Tok den Software-Konzern Oracle als Technologie-Partner für das US-Geschäft bekommt – eine Erleichterung, vor allem für die auf Tik Tok prominent vertretene junge Generation. Doch auch andere Akteure entdecken die Plattform nach und nach für sich. Ein Beispiel ist die Tagesschau. Ihr Ziel: Content generationsgerechter präsentieren.

Tik Tok steht für eine neue Art des Storytellings, das mit seinem „Snack Content“ ganz auf die Bedürfnisse junger Menschen zugeschnitten ist. Patrick Weinhold, Leiter des Social-Media-Bereichs bei der Tagesschau, ist in einem Podcast mit OMR Media überzeugt, dass Tik Tok das „boomende Netzwerk der Stunde“ sei. Der Nachfolger der Playback-App Musical.ly liefert mittlerweile Videos zu den verschiedensten Themenbereichen: Von Tanzeinlagen, über Trash bis hin zu Tutorials. Die Logik dahinter ist simpel: Jemand stößt ein Meme – ein markantes Foto, Lied oder Video – an und andere Nutzer interpretieren dieses auf ihre Weise weiter, während sie es mit passenden Hashtags und zusätzlichem Sound-Material ausstatten. Gefällt ein Video, so kann der Zuschauer ein Herz verteilen oder dem jeweiligen Clip-Produzenten folgen. Die Kurzvideos werden scheinbar zufällig präsentiert, wodurch Tik Tok immensen Einfluss auf die Bekanntheit einzelner Nutzer oder auch von Unternehmen hat. Der Content lässt sich jedoch auch filtern. Sucht man beispielsweise nach dem Hashtag „#Fachkräftemangel“, fällt auf, dass vor allem Altenpfleger auf Tik Tok präsent sind – womöglich auch deswegen, weil dort Corona den Fachkräftemangel verschärft hat. In Sachen Employer Branding liefert die Plattform tatsächlich viele kreative Ansätze. Doch welche Elemente sollte ein Video aufweisen, damit es von der jungen Zielgruppe wahrgenommen wird?

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Generationsgerechtes Content-Format versus Fürsorgepflicht

Wer sich als Fachkräftesucher in die „Tik Tok-Arena“ begibt, wird laut offiziellen Tik Tok-Statistiken überwiegend weibliche Nutzer antreffen. Außerdem seien über zwei Drittel der Nutzer zwischen 16 und 24 Jahre alt. Tik Tok ist somit eine Plattform, die größtenteils Schüler und Studenten anspricht und die Eigenarten der Generation Z zu verstehen weiß. Wenngleich auf diesem Netzwerk ein sozialer Austausch – jenseits der Kommentarfunktion – kaum stattfindet, so kann Tik Tok Firmen dennoch dabei helfen, jungen Menschen auf Augenhöhe zu begegnen. Hierfür ist jedoch ein bestimmtes Maß an Selbstinszenierung vonnöten, die dem Zuschauer einen möglichst hohen Unterhaltungswert gewährleisten. Denn die Aufmerksamkeitsspanne der Zielgruppe ist kurz und muss durch eine hohe Abwechslungsrate in Bild (durch kurze Bildfolgen, kreative Übergänge etc.) und Ton (durch Überartikulation des Gesprochenen, viele Sound-Effekte etc.) moderiert werden. Ebenso sind die richtigen Hashtags wie beispielsweise „#lovemyjob“ zu setzen, damit der Clip besser gefunden und von Tik Tok präsentiert werden kann. Für Unternehmen ist das oft eine Gratwanderung: Die Gefahr des Imageverlusts schwingt bei jedem Video mit. Ferner gibt Tik Toks Datenumgang Grund zur Skepsis.

Bewertungsmöglichkeit in Form vom Emojis auf einem Touchscreen

Jeder Recruiter tut natürlich gut daran, neue zielgruppenspezifische Trends zu nutzen, bevor sie wieder verschwinden. In Bezug auf Tik Tok könnten unter anderem Auszubildende oder Trainees, die ein Verständnis für die Plattform besitzen, ansprechenden Content generieren – zum Beispiel lustige Aufnahmen vom Arbeitsplatz – und somit positiv zum Employer Branding ihrer Firma beitragen. Doch sollte der Arbeitgeber diese Inhalte sowie etwaige Sicherheitslücken der Plattform stets im Auge behalten. Denn bis auf Weiteres bleibt noch unklar, ob der Konzern ByteDance der chinesischen Regierung hörig ist oder nicht. Auch wenn ByteDance dies konsequent abstreitet, gibt es dennoch Grund zur Annahme, dass es der Konzern mit den Freiheitsrechten westlicher Länder nicht so ernst nimmt: Es gibt nun Hinweise aus Australien auf ein mögliches Shadowbanning von LGBTQ-Themen bei Tik Tok. Sollten sich derartige Zensur-Vorwürfe bewahrheiten, wäre auch für Weinhold die rote Linie ganz klar überschritten. Bis jedoch Transparenz herrscht, müssen Unternehmen für sich selbst entscheiden, ob sie das „Mitsurfen auf der Tik Tok-Welle“ mit ihrer Fürsorgepflicht als Arbeitgeber vereinbaren können. So oder so: Tik Tok wird eine Plattform bleiben, auf der es vor allem um eines geht: Ablenkung.

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