Fach- oder Führungskarriere? Warum die Normalbiografie der Fachlaufbahn als Idealbild dient

Lächelnder Mann an aeinem Arbeitsplatz im Büro

Was haben Günter Grass und Sebastian Vettel gemeinsam? Sie sind gute Beispiele für eine typische Fachkarriere. Wer Karriere machen möchte, muss also nicht zwangsläufig andere Menschen führen – auch wenn dies in vielen Unternehmen immer noch der Normalzustand ist. Jenseits des in der Wirtschaftswelt fest etablierten Pfads der Führungskarriere gibt es also einen Karriereweg, der fachliche Verantwortung über disziplinarische Führungsaufgaben stellt: Die Fachkarriere. Und das ist gut so, denn der Arbeitnehmer von heute sehnt sich unvermindert nach klassischen normalbiografischen Sicherheiten – nur eben mit mehr Gestaltungsspielraum. Spezialisten und Experten, welche individuelle Fachlaufbahnen einschlagen, sind vielseitig einsetzbar: Häufig wirken sie als unternehmensinterne Berater, Impulsgeber und Mentoren bzw. als Repräsentanten nach außen. Auch wenn sicher gesagt werden kann, dass exklusives Knowhow ein starker USP im Zeitalter der Wissensgesellschaften ist, fehlt es den fachlichen Berufslaufbahnen leider immer noch an Sichtbarkeit.

Über die Notwendigkeit von Fachkarrieren in der Wirtschaft

In der heutigen Zeit werden Mitarbeiter zu immer flexibleren Bedingungen eingestellt – ein Trend, der in der freien Marktwirtschaft nicht aufzuhören scheint. Traditionelle soziale Sicherheiten im Beruf gehen somit Stück für Stück verloren. Auch wenn Arbeitnehmer heutzutage dazu neigen, ihre Arbeitstätigkeit vorwiegend nach Kriterien der Selbstoptimierung auszuwählen, und daher wirtschaftliche Forderungen nach Flexibilität nicht selten als Chance interpretieren, streben sie unvermindert nach diesen Sicherheiten. Das heißt: Obwohl die klassische Normalbiografie allmählich verschwindet, behält sie bei vielen Menschen ihre Gültigkeit als erstrebenswerte Arbeitsform. Eine unbefristete, werktags und in Vollzeit ausgeführte Arbeitstätigkeit, die zeitlich begrenzt sowie durch gesetzliche Schutzrechte abgesichert ist, bleibt demnach auch weiterhin lukrativ, was im Klartext bedeutet: Vielleicht hat die klassische Karriereleiter als Idealbild ausgedient, die Normalbiografie jedenfalls nicht. Firmen sollten daher reflektieren, welche Karriereoptionen sie ihren Beschäftigten langfristig anbieten sollten.

Frau entspannt auf ihrem Stuhl am Arbeitsplatz

Sich vom einfachen Mitarbeiter über das mittlere Management bis zum Vorstand hocharbeiten – das ist der ideale berufliche Werdegang, der den meisten Arbeitnehmern selbst heute noch vorschwebt. Im Vergleich zur Fachlaufbahn hat die klassische Führungskarriere in der Wirtschaftswelt kein Geschmäckle, denn häufig wird die Fachkarriere als eine Art „Auffangbecken“ für führungsuntaugliche Mitarbeiter abgestempelt. Dieser Gedanke greift selbstverständlich zu kurz, schließlich findet man Fachkarrieren in nahezu jedem Bereich der Gesellschaft – vor allem in der Kunst, in der Literatur oder im Sport. In der freien Marktwirtschaft sind Spezialisten und Experten üblicherweise wichtige Wissensträger bzw. manchmal sogar führende Forscher in ihrem jeweiligen Sachgebiet, was sie für Unternehmen so kostbar macht. Folglich sollten Firmen derartige Kapazitäten möglichst nicht verlieren. Jenseits von Mitarbeiterbindung und gezieltem Talent Management sollten sie Wert auf ein erfolgreiches Employer Branding nach innen und nach außen legen. Ihre Attraktivität als Arbeitgeber für Fachlaufbahnen erhöht sich jedoch nur, wenn diese klaren Strukturen unterliegen.

Schwierigkeiten bei der Angleichung von Fach- und Führungskarrieren

Für den Unternehmenserfolg ist es unabdingbar, kritische Schlüsselpositionen mit den richtigen Talenten zu besetzen. Firmen müssen hierfür jedoch neben klassischen Führungslaufbahnen auch neue Karriereoptionen anbieten und diesbezüglich erörtern, wieviel Agilität ihre jeweiligen Organisationsstrukturen vertragen. Schließlich bedingt die Einführung fachlicher Expertenrollen häufig auch die Einführung agiler Führungsrollen (Scrum-Rollen usw.). Dem typischen Fachmann dürstet es dabei üblicherweise weniger nach Führungsaufgaben als vielmehr danach, sein Wissen im Betrieb aktiv zu verbreiten. Daher erhält er nicht gerade selten ein verhältnismäßig niedriges Gehalt, was seiner Wichtigkeit keineswegs entspricht. Infolgedessen sollten die einzelnen Gehalts- und Hierarchiestufen der Fachkarriere klar definiert und möglichst an die Führungskarriere angeglichen werden. Flexible Arbeitsstrukturen, ein Budget für Weiterbildungen sowie der Zugang zu wichtigen Entscheidungen, Informationen und Veranstaltungen sind weitere Anreize – sofern die informellen Firmenstrukturen diese nicht boykottieren.

Hand schreibt etwas in ein Notizbuch

Erhalten Spezialisten bzw. Experten in einem Unternehmen genügend Freiheit zum Denken und Kommunizieren sowie einen „direkten Draht“ zu firmeninternen Schlüsselpositionen, dann stellt die Fachkarriere eine echte normalbiografische Alternative zur Führungskarriere dar. Doch in den allermeisten Betrieben gilt immer noch das Motto: Wer aufsteigen will, muss führen. Es ist somit kaum verwunderlich, dass Führungskräfte von ihren Mitarbeitern nach wie vor die höchste soziale Anerkennung erhalten, während es ranggleiche Experten meistens recht schwer haben, als ebenbürtig akzeptiert zu werden. Die informelle Rangordnung in Unternehmen reagiert, wie es scheint, relativ schwerfällig auf Veränderungen. In diesem Zusammenhang wird gerne der zentrale Fehler gemacht, dass firmenintern der Eindruck erzeugt wird, sämtliche Experten müssten einfach nur zufriedengestellt werden. Vielmehr sollte die Relevanz derselbigen auf allen Ebenen eines Unternehmens kommuniziert werden, damit diese nachhaltig anerkannt und wertgeschätzt werden können. Unter Umständen könnte für einen Fachmann ansonsten auch eine Projektlaufbahn, ein artverwandtes Karrieremodell zur Fachlaufbahn, (zukünftig) interessant sein.

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