Die Demokratisierung von Fachwissen und ihre Bedrohung für das Expertentum

Puzzle bei dem gerade das letzte Teil eingesetzt wird

Zum Glück muss man nicht alles wissen – weder im Arbeitsalltag noch im Privatleben. Man sollte jedoch wissen, wo man verlässliche Informationsquellen herbekommt. Doch das ist leichter gesagt als getan. Schließlich kann man in der heutigen Zeit im Internet nahezu alles Wissenswerte nachlesen – sogar fachliches Knowhow jenseits von Wikipedia findet man mittlerweile online. Sei es zum Beispiel die Konstruktion einer Website oder die Entwicklung von Softwarelösungen, das World Wide Web hält schon einen Lösungsvorschlag parat. Das Marktforschungsunternehmen Gartner ist überzeugt, dass sich der Trend zur Demokratisierung von Fachwissen auch im Jahre 2020 weiter fortsetzen wird. Auch für Firmen klingt das zunächst gut, denn dadurch lassen sich die Herausforderungen des Berufsalltags noch effizienter meistern. Die Konsequenz ist jedoch, dass Experten und deren Fachwissen nachhaltig an Exklusivität verlieren. Immerhin: Wenn es um praktisches Anwendungswissen geht, können das Internet und die moderne Technik auch weiterhin nicht mit dem Fachmann mithalten.

Über den Wandel der Verfügbarkeit von Wissen

Viele Jahrhunderte lang gab es Universalexperten, denn das, was allgemein als „wissenswert“ eingestuft wurde, war vergleichsweise überschaubar. Unzählige Entdeckungen haben jedoch die Welt allmählich komplexer werden lassen. Heute konzentrieren sich Experten – die sich ihr Knowhow für gewöhnlich durch jahrelanges Studium und Arbeitserfahrung angeeignet haben – daher auf konkrete Fachgebiete. Im Zeitalter der Digitalisierung verändert sich die Rolle des Fachmanns jedoch aufs Neue, denn (fachliches) Wissen ist heutzutage – dem Internet sei Dank – nicht mehr nur einem exklusiven Kreis von Bildungsbürgern vorbehalten. Mithilfe des World Wide Web wird Wissen nunmehr allen seinen Nutzern zugänglich. Auch im Jahre 2020 setzt sich dieser Demokratisierungstrendneben anderen Technologietrends – fort. Das Marktforschungsunternehmen Gartner prognostiziert eine Vereinfachung des Zugangs zu Tools bzw. zu technischer und wirtschaftlicher Expertise in den Bereichen Analytik & Daten, App-Entwicklung und Software-Design sowie zu sonstigem Fachwissen – eine Art dezentrales „Wikipedia 2.0“ entstehe sozusagen.

Nahaufnahme einer Tastatur mit Wikipedia-Taste

Wer von der Demokratisierung von Wissen spricht, muss auch zwangsläufig die Online-Plattform „Wikipedia“ („wiki“ ist hawaiianisch für „schnell“) nennen – eine der größten Erfolgsgeschichten des Internets. Diese wurde im Jahre 2001 von Jimmy Wales und Larry Sanger gegründet und avancierte recht schnell zu einem weltweiten Online-Nachschlagewerk, welches mittlerweile über eine Million deutschsprachige Artikel zählt. Das Besondere: Wikipedia bedient auf geschickte Weise die menschliche Gier nach Neuem und funktioniert dabei nicht nur – abgesehen von Spenden – prinzipiell unentgeltlich, sondern auch noch urdemokratisch, denn sämtliche Artikel der Online-Enzyklopädie werden von einer weltweit tätigen Gemeinschaft an Autoren erstellt. Der Knackpunkt: Prinzipiell kann jeder Internetnutzer über diese Plattform sein Wissen mit der Welt teilen – das Geschriebene muss lediglich von anderen Mitarbeitenden legitimiert bzw. von gewählten „Administratoren“, „Oversightern“ oder einem „Steward“ abgesegnet werden. Doch die etwa 10 Millionen Anfragen, die Wikipedia jeden Tag verzeichnet, dürfen über eine Sache nicht hinwegtäuschen: Wirklich fundiertes Fachwissen ist dort eher rar gesät.

Jura Student liest gerade in einem Gesetzbuch

Warum Experten auch weiterhin unverzichtbar bleiben

Fundiertes Fachwissen ist und bleibt ungemein wichtig für den Unternehmensalltag. Sehr verlockend ist diesbezüglich die Versuchung, sich dieses zu ergattern, ohne seine finanziellen und zeitlichen Ressourcen übermäßig beanspruchen zu müssen. Führungskräfte und Mitarbeiter sind somit für gewöhnlich dankbar, dass ihnen das Internet im Rahmen ihrer tagtäglichen Aufgaben hin und wieder Lösungsvorschläge liefert. Das World Wide Web kann ihnen jedoch immer nur ebenjenes bereitstellen: Vorschläge. Zwar gibt KI-basierte Software an vielen Stellen bereits einen Einblick, wie Kunden und Mitarbeiter in die Lage versetzt werden können, auf firmeninternes bzw. -externes Fachwissen zuzugreifen, jedoch relativiert dies keine fachliche Beratung. Mehr noch: Während es für den Laien dienlich ist, in begreifbare Einheiten portioniertes Wissen im Internet kostenlos serviert zu bekommen, leiden darunter sämtliche Experten mit profunden Fachkenntnissen, deren Dienste weniger beansprucht werden. Natürlich sind auch diese vor typischen Wahrnehmungsfehlern nicht gefeit, doch ihr praktisches Anwendungswissen und ihre Erfolgsquote machen sie letztendlich so unentbehrlich.

Allen Demokratisierungstendenzen zum Trotz: Auf seriöses Expertenwissen wird man auch im Jahre 2020 nicht verzichten können. Zwar ermöglicht ein allen zugängliches Web-Fachwissen eine bessere Überprüfung und Vergleichbarkeit fachmännischer Meinungen, jedoch besteht dadurch auch die Gefahr, dass man bei seiner Suche unbemerkt auf unseriöse Quellen stößt und in einen Teufelskreis aus Fehlinformationen und Unwissenheit gerät. Dies gilt vor allem dann, wenn man nach praxisorientiertem Anwendungswissen – vor allem zu spezifischen, untypischen Problemen – sucht. Fakt ist also: Im Büroalltag können uns demokratisierte Wissensbestände – die zweifelsfrei ein Garant für Chancengleichheit sind – und auch nützliche KI-gesteuerte Algorithmen zwar viel Arbeit abnehmen, menschliche Fachexpertise ersetzen können sie jedoch nicht. Eine Lösung für ein komplexes Problem lässt sich schließlich wohl kaum finden, wenn man nicht einmal die zugrundeliegende Problematik vollständig verstehen kann

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