Die 4 Tage Woche in Vollzeit?

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4 Tage Woche mit Kalendersymbol auf gelbem Hintergrund

Eine Vollzeitanstellung mit 32 Stunden: ist das möglich? Immer mehr Unternehmen experimentieren mit der 4 Tage Woche. Sei es zur Gewinnung neuer Fachkräfte, für junge Familien oder zur Förderung der Kreativität der Mitarbeiter. Wir haben uns den aktuellen Stand der Forschung dazu angeschaut und fassen die Ergebnisse zusammen.

Vollzeit und Teilzeit: Das sind die Unterschiede

Es gibt keine allgemeingültigen Vorgaben, wie viele Stunden als Voll- oder Teilzeit bei Arbeitsverhältnissen angewandt werden. Die Arbeitszeit ist eine Vereinbarung, die von Arbeitnehmer und Arbeitgeber gemeinsam getroffen wird.

Die Vorgaben dazu finden sich im Arbeitsrecht: Zusammengefasst spricht man von Teilzeit, wenn die regelmäßige Wochenarbeitszeit eines Arbeitnehmers kürzer ist als die eines vergleichbaren Arbeitnehmers in Vollzeit. Gibt es im Betrieb keine vergleichbaren Vollbeschäftigten, ist ein vergleichbarer Vollbeschäftigter aufgrund eines anwendbaren Tarifvertrages zu bestimmen oder vergleichbare vollbeschäftigte Mitarbeiter aus dem jeweiligen Wirtschaftszweig heranzuziehen.        

Hat das Unternehmen keine vollbeschäftigen Mitarbeiter und keinen Tarifvertrag, stellt sich also die Frage: Wie viele Stunden arbeiten Mitarbeiter in einem wirtschaftlich vergleichbaren Unternehmen? Mit dieser Voraussetzung kann in manchen Branchen davon ausgegangen werden, dass 32 Stunden pro Woche eine Vollzeitbeschäftigung sind. In der Realität ist dies jedoch selten der Fall.         

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Von 40 Stunden auf 32

Die 40-Stunden-Woche wurde von Gewerkschaften in den 1950er Jahren mit Slogans wie „40 Stunden Arbeit sind genug!“ und „Samstags gehört Vati mir“ hart erkämpft.  Stück für Stück passten sich die verschiedenen Branchen dank guter Konjunktur an das neue Arbeitszeitmodell an. Es dauerte jedoch bis 1974, bis auch der öffentliche Dienst die 40-Stunden-Woche einführte. Mit der Landwirtschaft zog 1983 schließlich die letzte Branche nach. Betrachtet man den Zeitraum der Entwicklung und vergleicht die Situation mit heute, stehen wir am Anfang einer neuen Arbeitszeitreform, die geprägt ist von Automatisierung, Ressourcenknappheit und Selbstbestimmung.

Im gängigen Familienmodell des 20. Jahrhunderts war der Mann arbeiten und die Frau zu Hause mit den Kindern. Das hat für viele Familien der breiten Mittelschicht ausgereicht, um über die Runden zu kommen, ein Haus zu bauen und für die Kinder zu sorgen. Angekommen im 21. Jahrhundert, haben sich die Verhältnisse deutlich geändert.

Die wirtschaftlichen Faktoren innerhalb der Zyklen des Kapitalismus der vergangenen 30 Jahre vergrößerten schließlich die Kluft zwischen Arm und Reich und schrumpften damit die Mittelschicht. Das führte dazu, dass heute meist beide Elternteile in einer Vollzeitbeschäftigung arbeiten müssen, um sich ein vergleichbares Familienverhältnis wie die Baby-Boomer-Generation leisten zu können. Frauen und Männer sind inzwischen in vergleichbaren Zahlen am Arbeitsmarkt vertreten und junge Familien müssen bei der Betreuung ihrer Kinder kreativ werden. Bei zwei vollbeschäftigen Elternteilen ist dies ohne eine Verkürzung der Arbeitszeit oder Homeoffice kaum möglich.    

Hier setzt die 32-Stunden-Woche an. Sie soll Eltern mehr Zeit für ihre Kinder ermöglichen, ohne dass diese aufgrund von Teilzeit einen Einkommensnachteil erleiden. Doch wie schaffen wir es, den Fachkräftemangel zu bekämpfen und gleichzeitig eine Verringerung der Arbeitszeit durchzusetzen?

Schwarzweissbild von Frauen am Strand in den 1950ern

Die 4 Tage Woche, eine Frage der Branche?

Fragen Sie eine Krankenpflegerin was sie von der 4 Tage Woche hält, wird diese Sie vermutlich schräg anschauen und zu ihrem nächsten Patienten spurten. Der Fachkräftemangel ist in einigen Branchen so akut, dass eine Woche ohne Überstunden für viele schon wünschenswert wäre. Allem voran der Bereich Medizin und Betreuung. Auch im Bereich Erziehung und Pflege fehlt es an allen Ecken und Enden an Arbeitskräften.  Eine Umstellung auf eine 32-Stunden-Woche würde in diesen Bereichen nichts ändern – abgesehen von noch mehr Überlastung der Belegschaft.           

Hier gilt es zuerst den Fachkräftemangel im Gesamten anzugehen und politische Weichen zu stellen, bevor man die 4 Tage Woche auf alle Wirtschaftszweige ausrollt. Welche Anreize dafür geschaffen werden müssen, würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Aus diesem Grund betrachten wir ein paar Beispiele, in welchen die 4 Tage Woche bereits umgesetzt wurde und welche Ergebnisse dabei erzielt wurden.

Vier-Tage-Woche: Die bisherigen Studienergebnisse

Immer mehr Arbeitnehmer in Deutschland geben an, ihre wöchentliche Arbeitszeit reduzieren zu wollen. Oft wird dabei auf eine gesunde Work-Life-Balance verwiesen. Dennoch arbeiten laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung aus dem Jahr 2021 50 Prozent der Männer und 41 Prozent der Frauen mehr, als ihnen recht ist. Viele würden ein geringeres Gehalt akzeptieren, wenn sie dafür die Arbeitszeit reduzieren könnten.

Die „Association for Sustainability and Democracy” aus Island hat gemeinsam mit dem britischen Thinktank „Autonomy“ vergangenes Jahr mit ihrer Studie zur Kürzung der Arbeitszeit für Aufmerksamkeit gesorgt. Über 2500 Vollzeitbeschäftigte aus Behörden, Pflege- und Bildungseinrichtungen und anderen Dienstleistungsunternehmen nahmen von 2015 bis 2019 an der Studie Teil. Während eine Kontrollgruppe 40 Arbeitsstunden pro Woche leisten musste, arbeitete die Experimentalgruppe vier bis fünf Stunden weniger bei gleichem Gehalt. Durch verschiedene Tests und Interviews wurden Daten zum Wohlbefinden, die Arbeitsleistung oder die Work-Life-Balance erhoben.

Die Ergebnisse fielen dabei sehr positiv aus. Die Produktivität blieb konstant nach einer Stundenreduzierung oder stieg sogar an. Die Teilnehmer berichteten von einer besseren Work-Life-Balance mit mehr Zeit für Familie und Freunde, gesteigertem Wohlbefinden und mehr Teamgeist auf der Arbeit.

Frau arbeitet remote am Laptop an einer grossen Glasfront in den Bergen

Auch die Befürchtung, dass bei einer Verkürzung der Arbeitszeit das Überarbeitungsrisiko zunehme, da dieselbe Arbeit in weniger Zeit zu erledigen ist, konnte von der Studie entkräftet werden. Zwar erkannten manche Teilnehmer in der Anfangsphase eine Erhöhung des Workloads, doch durch eine Anpassung der Arbeitsabläufe verflüchtigte sich diese schnell, sodass es langfristig zu keinem gesteigerten Arbeitspensum kam.

Nimmt man als Gegensatz dazu die Studie von Pega und Kollegen, welche untersuchte, ob lange Arbeitszeiten auf Schlaganfälle und Herzkrankheiten zurückzuführen sind, zeichnet sich ein deutliches Bild ab: Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass das Risiko für Schlaganfälle und ischämische Herzkrankheiten ab 55 Wochenstunden deutlich steigt.

In Deutschland experimentieren immer mehr Unternehmen mit dem verkürzten Arbeitsmodell. Die Erfahrungsberichte stützen dabei die Ergebnisse der isländischen Studie. Hier eine kleine Übersicht:  

T3N-Magazin
4-Tage-Woche: Diese Unternehmer sprechen über ihre Erfahrungen         

Bayrischer Rundfunk          
Vier-Tage-Woche: Das Arbeitsmodell für die Zukunft

Business Insider       
In dieser Firma haben Mitarbeiter im Sommer nur eine 4-Tage-Woche

Fazit

Vieles deutet darauf hin, dass eine Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit eine Win-Win Situation für Arbeitnehmer und Arbeitgeber darstellen kann. Diverse Studien und Praxisbeispiele belegen, dass eine verkürzte Arbeitswoche dazu führt, dass die Arbeitszeit besser genutzt wird und Arbeitsabläufe dabei optimiert werden. Die gewonnene Freizeit führt wiederum zu mehr Wohlbefinden, Leistungsvermögen, Gesundheit und Zufriedenheit bei der Belegschaft.

Die 4 Tage Woche kann allerdings nicht mit dem Gießkannenprinzip über alle Branchen hinweg verteilt werden. Viele Wirtschaftszweige kämpfen um Fachkräfte und sind um jede Hand froh, die ihnen die Arbeit etwas erleichtert. Wie zuletzt 1950 befinden wir uns einmal wieder in einem Transformationsprozess. Während es damals die Zigarettenindustrie war, die als erste Branche die verkürzte Arbeitszeit im Tarif verankert hat, sind es heute Start-Ups und Software-Unternehmen, die den ersten Stein ins Rollen gebracht haben. Hoffen wir einfach auf einen ähnlich guten Konjunkturverlauf in den nächsten 30 Jahren. Und wer weiß, vielleicht haben wir eines Tages sogar Ärzte mit einer 32 Stunden Woche.

Wir machen aus Talenten Experten!

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