Die eigene Urlaubsreise ist nicht nur ein beliebtes Smalltalk-Thema, sie gehört sogar für viele Deutsche zur regelmäßigen Pflicht. Vor allem zur Sommerzeit ist man hierzulande sehr reisefreudig. Galt eine Urlaubsreise vor Jahrzehnten noch als ein Zeichen von Wohlstand, ist sie im Laufe der Zeit zur Massenware geworden. Noch vor einigen Monaten beklagten sich viele beliebte Urlaubsorte über Heerscharen von Touristen. Doch die Corona-Pandemie hat dem weltweiten Übertourismus vorerst Einhalt geboten. Mit den Lockerungen tritt nun immer mehr ein Umdenken zu Tage. Zwar zieht es nach dem wochenlangen Lockdown immer noch viele Menschen in die Ferne, doch scheinen sich die Parameter des Reisens geändert zu haben. Gründe hierfür sind unter anderem die mit Auslandsreisen verbundenen Unsicherheiten und ein gestiegenes Bedürfnis nach individuelleren und ganzheitlichen Urlaubserlebnissen.
Das neue Retro-Denken der Sommerfrischler
Viele Deutsche befinden sich derzeit im Urlaubsmodus und freuen sich über ihre lang ersehnten Sommerferien. Tatsächlich zieht es jährlich etwas mehr als 3 von 5 Bundesbürgern in die Ferne. Vorzugsweise wird der Urlaub im Ausland verbracht. Corona-bedingt ist im Jahre 2020 alles anders. Viele Sommerfrischler bevorzugen aktuell Urlaubsreisen, wie sie schon die Eltern und Großeltern in den 1960er- und 1970er-Jahren unternommen haben, so der Historische Soziologe Hasso Spode vom Historischen Tourismus-Archiv der TU Berlin. Demnach habe die Welt des Reisens im Zuge der Corona-Pandemie eine Art Rückwärtsgang eingelegt. Konkret bedeutet das: Der Urlaub im eigenen Land – bestenfalls noch in Mitteleuropa – erfreut sich wachsender Beliebtheit. Das Online-Portal Statista bestätigt diesen Befund in einer Umfrage von Ende Juni. Darin gab die Hälfte der Befragten an, ihren Urlaub im heimischen Idyll verbringen zu wollen, während sich 35 Prozent für einen Urlaub in Deutschland und nur 17 Prozent für das europäische Ausland aussprachen. Hinzukomme, dass die Lockdown-Erfahrungen bei vielen Menschen ein großes Bedürfnis nach Natur geweckt hätten, so die Geschäftsstellenleiterin Michelle Schwefel vom Deutschen Ferienhausverband. So lässt sich auch die aktuell steigende Anzahl an Camping-Urlaubern erklären. Ein Umdenken zeichnet sich ab.
Die Pandemie hat den Alltag zahlreicher Bundesbürger ordentlich auf den Kopf gestellt. Auch viele Reisegewohnheiten blieben hiervon nicht verschont. Zwar hat das Auswärtige Amt seine Reisewarnungen für die meisten EU-Länder aufgehoben, doch sind mit dem Reisen ins Ausland immer noch einige Unsicherheiten verbunden. Schließlich bleibt das weltweite Infektionsgeschehen vorerst noch unvorhersehbar, was zu neuen Komplikationen führen könnte: Beispielsweise zu veränderten Einreisebedingungen oder zu prophylaktischen Corona-Testungen mit obligatorischen Quarantäne-Aufenthalten. Ein weiterer Nachteil: Die deutsche Corona-Warn-App funktioniert im Ausland nicht. Solche Unsicherheiten schmälern natürlich die Freude am Auslandsurlaub. Mehr noch: Die Corona-Krise hat womöglich neue touristische Bedürfnisse verstärkt. Der langjährige deutsche „Hunger“ nach Massentourismus könnte nun allmählich abflauen, denn die meisten Deutschen ziehen schon heute das Baden in der Nord- und Ostsee einem Strandbesuch in Italien und Spanien vor. Die Tourismus-Branche muss darauf reagieren. Das neue Schlagwort lautet Resonanztourismus.
Neue Sehnsuchtsideale jenseits vom Massentourismus
Am Reiseverhalten eines Menschen lassen sich dessen Bedürfnisse und Überzeugungen erkennen. Während sich manche Reisende zum Beispiel immer noch vom touristischen Massenangebot am Ballermann angezogen fühlen, bevorzugen andere wiederum einen ganzheitlichen Urlaub auf dem Bauernhof oder etwa eine Wanderung auf dem Jakobsweg. Ein solches ausdifferenziertes Tourismusangebot ist prinzipiell zu begrüßen, steht es doch symbolhaft für das Recht auf Freizügigkeit. Dieses Recht ist jedoch dort zu relativieren, wo es die Freiheit Anderer einschränkt. Leider funktioniert der Massentourismus schon seit Jahren vielerorts auf Kosten der Einheimischen und der Natur. Bis vor ein paar Monaten war es noch üblich, dass bestimmte Urlaubsziele von Touristen tagtäglich überschwemmt wurden. Dabei ging den betroffenen Regionen auch sukzessive ein Stückchen Identität verloren, da man sich zunehmend an die Touristenströme anpasste. Doch mit dem Corona-Ausbruch stoppte dieser Strom plötzlich, denn Massentourismus wurde nun als potenziell gesundheitsgefährdend angesehen. Diese Einschätzung hat bis heute Bestand – jedenfalls bei den meisten Menschen. Zwar liefert eine Reise-App des Auswärtigen Amtes zugeschnittene Informationen zu den verschiedensten Reiseländer, doch die Auslandsangst ist bei vielen Urlaubern noch zu groß. Die Straßen und Strände vieler traditioneller Sehnsuchtsorte bleiben weitestgehend leer.
Die Corona-Krise hat auch im Reiseverhalten der Deutschen eine Reihe von Entwicklungswelle angestoßen. Welche davon sich langfristig durchsetzen, bleibt abzuwarten. Fakt ist: Die Menschen müssen vorerst noch für eine unbestimmte Zeit mit der Pandemie-bedingten Unsicherheit leben. Die Tourismus-Branche wiederum muss sich dem anpassen. Bereits vor der Krise prognostizierte die Anthropologin Verena Muntschick vom Thinktank „Zukunftsinstitut“ eine Entwicklung hin zum Resonanztourismus. Sie und ihr Team gehen davon aus, dass Reisende zukünftig im besonderen Maße nach Erfahrungen im Austausch mit ihrer Umgebung streben werden. Entscheidend sei diesbezüglich das Gefühl der Verbundenheit, das bei unmittelbarer Interaktion mit Dingen und Menschen entsteht. Der Urlauber von morgen strebt demnach nach authentischeren Erlebnissen. Ein solcher Wandel im Reiseverhalten der Deutschen wäre in der Tat wünschenswert, hätte er doch womöglich positive Auswirkungen auf die vom Übertourismus gebeutelten Landschaften und Menschen. Doch fließen in derartige Prognosen immer auch eigene Erfahrungen und Wunschvorstellungen mit hinein, so der Historiker Valentin Groebner. Dass sich der deutsche Urlauber nach mehr Authentizität im Urlaubserleben sehnt, demonstrieren auch die zahlreichen Wildcamper, die seit Beginn der Corona-Krise in Deutschlands Wäldern und Wiesen zu finden sind. Viele von ihnen zeigen leider ebenso, dass dieses Resonanzbedürfnis mit einem gestiegenen Verantwortungsbewusstsein nicht einhergehen muss.
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