Jede Zeit bringt ihre eigenen Helden hervor, denn Helden geben dem Menschen ein Gefühl der Kontrolle – vor allem in unbehaglichen Zeiten. Daher war auch gerade zu Beginn der Corona-Pandemie weltweit recht zügig von „Corona-Helden“ die Rede. Gemeint sind damit grundsätzlich Berufe, die als systemrelevant gelten und unseren Alltag weitestgehend am Laufen halten. Die bekanntesten Helden erhielten lange Zeit viel Aufmerksamkeit von der Öffentlichkeit und waren Gegenstand zahlreicher Lobeshymnen von Medien und Politik. Doch wirklich verändert hat sich für sie kaum etwas. Die Arbeitsbedingungen der allermeisten „Helden-Jobs“ sind die gleichen geblieben, während das Prestige insbesondere der weniger thematisierten Berufe wieder gesunken ist. Was wir nun dringend brauchen ist ein Umdenken.
Ein Held hat in Corona-Zeiten viele Gesichter
Die Menschheit braucht Heldengeschichten: Geschichten von furchtlosen Menschen, die gegen „böse Mächte“ kämpfen und Menschenleben retten, die immer Herr der Lage sowie nahezu unbesiegbar sind und dabei normalerweise keine Hilfe benötigen. Derartige archetypische Bilder werden von den meisten von uns dankbar angenommen. Nicht ohne Grund war daher der Ausdruck „Corona-Held“ vor allem zu Hochzeiten der Corona-Pandemie ein häufig genutzter Begriff nicht nur von den Medien und der Politik. Die deutsche Öffentlichkeit prägte dieses Helden-Image ebenfalls mit – unter anderem durch abendliche Klatschkonzerte. Das Gute daran: Heldengeschichten suggerieren Zusammengehörigkeit und tragen dazu bei, als unangenehm empfundene Realitäten etwas zu beschwichtigen. Das Schlechte daran: Mit dem Helden-Begriff ist für die Betroffenen ein großer Druck verbunden, denn Helden dürfen nicht aufgeben, auch wenn sie hierfür an ihre Grenzen gehen müssen. In Zeiten der Pandemie bedeutet dies, dass Corona-Helden tagtäglich mit vielen Menschen in Kontakt treten und dabei ihre Gesundheit zwangsläufig aufs Spiel setzen müssen, während der Rest der Bevölkerung sich auf die wichtigsten Sozialkontakte konzentrieren darf. Die hohen Opfer, welche jene Helden dabei in Kauf nehmen müssen, geraten jedoch zunehmend in Vergessenheit.

Insbesondere in Krisenzeiten ist eine Gesellschaft auf Menschen angewiesen, die nicht nur an ihr eigenes Wohl denken, sondern auch an das Wohl ihrer Mitmenschen. Ein Held – egal, ob im beruflichen oder privaten Kontext – kann prinzipiell jeder werden. Laut dem Psychologen Philip Zimbardo müsse man hierfür lediglich bereit sein, sich für andere Menschen einzusetzen. Dies gilt vor allem dann, wenn dieses Handeln für einen selbst Nachteile implizieren könnte. Nach dieser Definition gibt es eine ganze Reihe von Corona-Helden, von denen das Funktionieren unseres Alltagslebens abhängt: Angefangen mit Ärzten, Krankenpflegern und Sanitätern, über Bedienstete in Apotheken und Supermärkten sowie im Logistik-, Post- und Verkehrswesen bis hin zu Bauarbeitern, Essenslieferanten, Handwerkern, Landwirten, Lehrern und auch Psychologen. Doch auch im Privatleben gibt es Helden. Hier sind beispielsweise Frauen zu nennen, die sich im Rahmen des Lockdowns mit einem Rollback der Geschlechterrollen abfinden mussten. Was alle diese Helden vereint ist ihre Opferbereitschaft, die grundsätzlich zu ihrem Nachteil und zum Vorteil ihrer Mitmenschen ausfällt. Doch zusammen mit den Lockerungen schwindet mittlerweile in großen Teilen der Gesellschaft das Bewusstsein dafür, was diese Leistungsträger immer noch tagtäglich bewerkstelligen müssen.
„Mehr als Klatschen wollen sie nicht hergeben“
Viele Helden des Corona-Alltags arbeiten seit Monaten bis zur körperlichen und geistigen Erschöpfung. Ein Ende ist noch nicht in Sicht. Vor allem diejenigen, die an vorderster Front gegen das Virus kämpfen, müssen die größten Opfer bringen. Nicht ohne Grund fallen derzeit rund 10 Prozent aller weltweiten Corona-Infektionen auf Beschäftigte im Gesundheitssektor, so der WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus laut Handelsblatt-Informationen. Dass diese bei ihrer Arbeit in erhöhtem Maße einer Infektion ausgesetzt sind, wird auch von der deutschen Bevölkerung in Kauf genommen, während flächendeckende Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen noch ausbleiben. Zwar wurde zahlreichen ambulanten und stationären Pflegern nun mit dem Juli-Gehalt eine Sonderprämie von bis zu 1500 Euro ausgezahlt, doch betrifft dieser Bonus nicht das medizinische Personal von Kliniken und Krankenhäusern – vermutlich ein Erfolg von Lobbyisten, der jedoch allerlei Frust produziert. Auch andere Corona-Helden beschweren sich über die fehlende Anerkennung ihrer Mitmenschen. Ein unbekannter Krankenpfleger formulierte es auf hessenschau.de folgendermaßen: „Vielen ist bewusst geworden, was es für Probleme gibt, aber mehr als Klatschen wollen sie nicht hergeben“.

Helden des Corona-Alltags gibt es auf der ganzen Welt. Auch unsere Gesellschaft kann auf ihre Corona-Helden nicht verzichten. Doch reicht es nicht aus, nur zu loben und von Helden zu sprechen. Was ebenjene Helden nun brauchen, sind Fakten bzw. Maßnahmen, die sie bei ihrer täglichen Arbeit unterstützen. Für die Politik heißt dies zum Beispiel, dass Anreize zu setzen sind, um dem Personalmangel und der zum Teil mangelhaften Bezahlung, die in vielen „Helden-Jobs“ vorherrschen, entgegenzuwirken. Für uns, die wir von den Corona-Helden nach wie vor profitieren, bedeutet dies, dass wir uns deren Leistung wieder stärker vor Augen führen sollten. Dabei sind jedoch nicht nur akademische und spezialisierte Berufe zu würdigen, sondern auch diejenigen Jobs, die in der öffentlichen Wahrnehmung größtenteils untergehen, obgleich wir alle auf sie angewiesen sind. Glücklicherweise gibt es bereits in jedem Bundesland zahlreiche Wege, wie Corona-Helden mit konkreten Maßnahmen gedankt werden kann – und dies nicht nur durch monetäre Beiträge. Was zählt, ist unsere Bereitschaft, mehr Verantwortung zu übernehmen für diejenigen, die uns gegenüber eine große Verantwortung haben. Dieses Mindset macht eine Gesellschaft widerstandsfähig.
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