Technologisch betrachtet, leben wir Menschen gerade in sehr interessanten Zeiten. Wovon die Kino- und Literaturwelt jahrzehntelang träumten, wird im 21. Jahrhundert nach und nach zur Realität. So ist nun mittlerweile auch die Kopplung von menschlichen Gehirnen und Computern mittels sogenannter „Brain-Computer-Interfaces“ technologisch möglich. Das heißt, es lässt sich nun bereits über die kleinen grauen Zellen bewegungs- und sprachunabhängig mit Maschinen interagieren. Die Entwicklungspotenziale solcher Schnittstellen sind gigantisch. Doch könnten diese auch dystopische Szenarien heraufbeschwören, sollte man kommenden technologischen Durchbrüchen in der BCI-Forschung keinen regulatorischen Rahmen vorsetzen.
Bio-Hacking 2.0 oder die ultimative Entzauberung des Menschen
Sei es die Tastatur am Computer oder der Touchscreen am Smartphone, Schnittstellen von Menschen und Technik gibt es bereits viele und sind in unserem Alltag unverzichtbar geworden. Solche Schnittstellen machen es uns möglich, unsere Gedanken in Form von strukturierten Befehlen an Maschinen weiterzugeben. Die Kommunikation mit derselbigen verläuft dabei mittelbar unter Zuhilfenahme von Fingerbewegungen oder Sprache. Doch lassen sich Maschinen mittlerweile auch unmittelbar, das heißt neurotechnologisch durch die Verbindung des Gehirns mit technischen Schaltkreisen, bedienen. Möglich machen dies sogenannte „Brain-Computer-Interfaces“ (BCI), die geradezu revolutionäre Anwendungsmöglichkeiten sowohl in der Behandlung von Krankheiten wie etwa Alzheimer, Epilepsie oder Parkinson sowie Schwerstbehinderungen als auch in der Emotionsregulation und der Steuerung von Buchstabierprogrammen, Fahrzeugen, Prothesen oder Robotern versprechen. Anders ausgedrückt: BCIs haben die Kapazität, das Wesen des Menschen endgültig zu entzaubern. Ferner ließe sich durch diese neue Form des „Bio-Hackings“ gleichzeitig Nudging , also die latente Beeinflussung von Menschen, auf höchstem Niveau betreiben.
Das menschliche Gehirn besteht aus einem gigantischen Netzwerk aus Nervenzellen bzw. Neuronen, welche unentwegt elektrische Signale aussenden. Diese elektrischen Impulse lassen sich sogar an der Kopfhaut erfassen und verarbeiten. Möglich ist dies bereits mithilfe von nicht-invasiven BCI-Methoden wie beispielsweise der Elektroenzephalographie (EEG). Das Problem ist jedoch: Die elektrischen Signalmuster des Gehirns sind sehr komplex und die Übertragungsrate durch die Schädeldecke sehr niedrig. Bessere Auswertungsergebnisse liefern daher erst invasive bzw. semi-invasive Methoden. Im ersten Fall werden winzig kleine Elektroden sehr nah an die Neuronen im Gehirn herangeführt, im zweiten Fall wird ein Chip oder eine Scheibe auf die Hirnhaut gesetzt. Was die Zukunft betrifft, sind beide Gehirn-Maschinen-Koppelungen vielversprechend, wie dieser Überblick über die Möglichkeiten von Brain-Computer-Interfaces zeigt. Auch eine Erweiterung der menschlichen Sinnesleistungen wäre in diesem Zusammenhang vorstellbar. Doch noch ist es zu früh, das Zeitalter der Cyborgs einzuläuten, denn der derzeitige Stand der Technik besitzt noch eine hohe Fehlerrate und Störanfälligkeit bzw. setzt ein hohes Trainingspensum voraus.
Regeln für den Sturz der „letzten Bastion“ menschlicher Freiheit
Brain-Computer-Interfaces haben das Potenzial, nachhaltig disruptive Entwicklungen anzustoßen – doch nicht in allen gesellschaftlichen Bereichen gleichermaßen. Während zum Beispiel medizinische BCIs aktuell noch in der Prototyp-Phase sind, haben erste Produkte im Unterhaltungs- und Wellness-Bereich bereits die Schwelle zur Marktreife überschritten. So gibt es mittlerweile schon nicht-invasive BCI-Headsets, die mittels Biofeedback-Systeme die Emotionen und den Stress ihrer Träger beeinflussen oder in absehbarer Zeit auch maximal immersive Gaming-Erlebnisse vermitteln können. Deutlich invasivere Methoden strebt hingegen der Tesla-Gründer Elon Musk mit seinem Unternehmen Neuralink an. Sein Ziel: Sowohl Datenübertragungen als auch medizinische Hilfe mittels im Gehirn implantierter Chips bereitstellen. Doch sind solche und andere Zukunftsvisionen aus den verschiedensten Gründen nicht unumstritten. Zu erwähnen sind hier vor allem gesundheitliche Risiken wie etwa gehirninterne Verletzungen. Ferner wird der menschliche Organismus durch BCIs in einem noch nie da gewesenen Ausmaß manipulierbar. Dass Daten-Kraken wie Google und Co. mittlerweile in Neuralinks Forschungen investiert haben, sollte grundsätzlich zu denken geben.
Die Entwicklungspotenziale von Brain-Computer-Interfaces lassen sich nur mit wegweisend neuen Erkenntnissen aus der Kognitiven Informatik, dem Machine Learning, der Medizintechnik, der Neurologie und der Robotik ausschöpfen. Ebenso wäre es beispielsweise noch nicht auszudenken, was wiederum die Marktreife von bereits entwickelten 2-Nanometer-Chips in Sachen BCI anstoßen könnte. Doch während begeisterte Transhumanisten in Gehirn-Maschinen Kopplungen eine neue Stufe des Cyberpunks sehen, wollen Kritiker diesen klare Grenzen setzen. Zu Letzteren zählt auch die Parlamentarische Versammlung des Europarats, welche in ihrer „Resolution 2344 (2020)“ bereits die Anwendung nachfolgender ethischer Prinzipien bei der Entwicklung von BCI-Technologien fordert:
- Autonomie
- Datenschutz
- Gleichheit
- Inklusivität
- Integrität
- Missbrauchsprävention
- Sicherheit
- Transparenz
- Verantwortungsbewusstsein
- Vertraulichkeit
- Vorsicht
- Wohltätigkeit
Schließlich nimmt die Entwicklung leistungsstarker Brain-Machine-Interfaces dem Menschen, auch bildlich gesprochen, seine Unantastbarkeit und im schlimmsten Falle sogar seine Würde. Und wenn mit der flächendeckenden Marktreife von BCIs die „letzte Bastion“ menschlicher Freiheit fällt, brauchen wir vor allem ein eindeutiges und verbindliches Regelwerk für den Umgang mit diesen mehr oder weniger invasiven Schnittstellen. Dies bedingt auch eine Neudefinition von Rechtsbegriffen wie Privat- und Intimsphäre. Ohne Regelungen wären jedoch die langfristigen Auswirkungen auf die menschliche Identität und das soziale Zusammenleben unabsehbar und ab einem bestimmten Zeitpunkt nur noch bedingt kontrollierbar. Letztendlich müssen auch wir als Gesellschaft darüber diskutieren, ob und zu welchem Preis wir bereit sind, die alte Maxime „Die Gedanken sind frei“ aufzugeben.
Wir machen aus Talenten Experten!
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